Was das Ideenmanagement von der Luftfahrt lernen kann

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Eine Betrachtung von Monika E. Krauskopf


Einleitung

In wenigen Bereichen des Lebens bestehen so hohe Sicherheitsvorkehrungen wie in der Luftfahrt. Nach Unglücken rückt das in den Hintergrund und verursachende Fehler“ werden tonangebend. Das ist bitter, aber die Luftfahrtbranche ist trotzdem ein Vorbild für ein transparentes Kontrollsystem und gelebte Fehlerkultur. Eine Statistik des Weltluftfahrtverbandes IATA zeigt, die Fluggastzahl ist seit 1960 gestiegen, das Absturzrisiko ist jedoch gesunken.
Im Jahr 1960: 106 Millionen Fluggäste, Risiko Passagier 1 : 25.000.
Im Jahr 2014: 3,3 Milliarden Fluggäste, Risiko Passagier 1 : 60.000.000!

Wie wurde diese Verbesserung geschafft?

Die meisten Flugzeuge stürzten nicht wegen schlechtem Wetter/Material ab. 70 - 90 % waren menschliche Fehler. Stark gestiegene Fluggastzahlen ab 1960 zwangen zum handeln. Nicht nur die Technik weiter zu entwickeln, sondern auch die Menschen ‚zu verbessern‘. Speziell um den Menschen (Piloten, Besatzungen, Bodenpersonal) entsprechend zu schulen wurde das Crew Ressource Management (CRM) eingeführt. Das stetige CRM-Training dient der Erhöhung der Sicherheit im Flugbetrieb durch Verbesserung der Zusammenarbeit Aller. Erreicht wird damit die systematische Optimierung/Standardisierung von Abläufen, Verfahren und der optimalen Kommunikation zwischen Mitarbeitenden.

Professor Jan U. Hagen forscht an der privaten Hochschule ESMT, Berlin zu den Themen Führung, Fehlermanagement, Krisenmanagement. Er sagt, beim CRM geht man von der Voraussetzung aus: Menschen machen Fehler. Menschen übersehen Dinge, legen sie falsch aus, nehmen sie nicht ernst genug, oder blenden Probleme/Gefahren gleich ganz aus. Ein Flugzeug stürzt nicht ab, weil einer 1 Fehler macht. In den 70-er Jahren hat man gemessen, wie oft Flugzeugbesatzungen Fehler passieren. Erschreckend – alle 4 Minuten. Die meisten Fehler waren jedoch nicht schlimm. Es ist immer eine Fehlerkette die tödlich endet! Es wurden also Vorgehensweisen entwickelt, wie ein Sicherheitsnetz, sodass Menschen Fehler machen können, ohne dass es zur großen Katastrophe kommt. Im CRM werden Fehler und alle möglichen beeinflussenden Bedingungen angesprochen. Auch die Kommunikation miteinander wird geübt. Jede noch so kleine Schwachstelle wird offen besprochen und schnellstmöglich Konsequenzen gezogen. Es werden Worst Case Szenarien durchgespielt. Und es wird ein Plan-B entwickelt. Vor allem werden Checklisten entwickelt, die Sicherheit geben. So gibt es z.B. normale Check- listen, Follow-Up Checklisten, Read and Do Checklisten – jede zugeschnitten auf den Einsatzfall. Laut Professor Jan U. Hagen ist jede eine Art ‚Schutzschild‘, um eine ev. Fehlerkette zu vermeiden. Die großen Erfolge dieser Trainings führten zur gesetzlichen Vorgabe dieser regelmäßigen Schulungen!

Haben Sie in Ihrem Unternehmen vorbereitete Checklisten etc. für Worst Case Szenarien, um schnell zu handeln? Für den Fall, dass z.B. eine Maschine ausfällt? Welche Vorteile hätte es, vorbereitet zu sein?

Ideenmanagement: Wer hat‘s erfunden?

Der Begriff Ideenmanagement wird zum ersten Mal 1975 von Ing. S. Spahl verwendet. Seine Aussage war, die Mitarbeitenden sollen nicht mit einer Vielzahl verschiedener Begriffe wie Mängelmeldungen, Vorschlagswesen, Quality Circle Patent- oder Lizenzwesen usw. verwirrt werden. Viel angebrachter wäre die Bezeichnung Ideenmanagement.

Ein - von allen - im Unternehmen angewandtes Ideenmanagement setzt, genau wie CRM eine positive Fehlerkultur voraus. Das gemeinsame Arbeiten ist von Offenheit, Fairness und Respekt geprägt. Akzeptiert wird, dass Fehler zum Arbeitsalltag dazugehören.

Beim CRM sind meist nicht technische Mittel gemeint, die verbessert werden sollen, sondern die bessere Kommunikation und Zusammenarbeit aller Beteiligten. Das ist auch die Basis des Ideenmanagements: reden und arbeiten miteinander in einer strukturierten Art und Weise, damit keine Ideen, Probleme, Hinweise etc. verloren gehen.

1975 – 2015: 40 Jahre später!

Die Mitarbeitenden die in der Luftfahrt über den CRM-Prozess miteinander verbunden sind, kennen alle ihren Auftrag. Der lautet: an einem Termin Menschen gut/sicher von A nach B zu bringen. Dafür sind alle verantwortlich und müssen ihr Bestes geben. Immer und immer wieder.

Der durchgängige Ideenmanagement-Prozess dagegen scheitert oft an festgefahrenen Strukturen, Hierarchien der Vorgesetzten und der Mitarbeitenden. Trotz des Wissens um notwendige Veränderungsprozesse ist in Unternehmen noch immer nicht uneingeschränkte Offenheit für mitdenken, mitreden, mitgestalten gegeben. Immer gibt es Diskussionen zum Thema: was ist eine Idee, was ist nur eine Problemmeldung. Produktideen gehören hierhin, kleine Meldungen dahin, Fehler hier und Beschwerden da. Diese Einteilung, oder Zersplitterung in die „einzelnen Melde-Schienen“ ist für die Praxis nicht hilfreich. 

Die Verantwortung für ein Ideenmanagement liegt meist bei dem Ideenmanagement-Büro. Da liegt sie gut. Es wird eine innovative Ideenmanagement-Software angeschafft, aber sonst haben wir „alten Wein in neuen Schläuchen“. Die Denke des alten betrieblichen Vorschlagswesens aus dem Jahre 1872 lebt noch heute. Wie würde die Luftfahrt heute aussehen, wenn die Einführung des Crew Ressource Management-Prozesses so lange gedauert hätte?

Wer kritisiert schon den Kapitän?

Sehen wir uns dazu noch einige Details des Ideenmanagementprozesses an. Die „starren Prämiensysteme“, die „Verbote“ etc. verhindern auch heute nach wie vor ein optimales Einbringen aller Mitarbeitenden. Viele Verbesserungsvorschläge werden „begutachtet“, anstatt „vor Ort“ mit allen Betroffenen schnell eine Lösung zu finden und umzusetzen. Warum gibt es neben ‚Gutachtern‘ auch noch ‚Schlechtachter‘ die angemahnt werden müssen? Gutachter/Führungskräfte arbeiten nur mit, wenn sie motiviert werden? Eskalationsstufen im Ideenmanagement? Irrsinn! Wie oft wird bei Verbesserungsvorschlägen nach einem Schuldigen gesucht? In der Luftfahrt ist nur eine Frage wichtig: „Was können wir alle tun, damit nichts passiert?“

Alles beginnt im Kopf

Oft ist es so, dass sich die Führungskräfte als „geprügelte Hunde“ fühlen. Druck von ganz oben und von unten, Tagesgeschäft und dann noch das Ideenmanagement! Ist doch verständlich, wenn sie blocken. Nein ist es nicht. Es ist eine haftungsrelevante persönliche Grundpflicht aller Manager.

Lassen wir die Emotionen mal weg. Dann erkennen wir, dass ein Verbesserungsvorschlag nichts anderes ist, als das „öffentliche Ansprechen oder Aufschreiben eines Problems aus dem Tagesgeschäft“. Ob ein Lösungsweg dabei ist, ist noch nicht relevant. Es ist ein Informationsweg der Mitarbeitenden, um Probleme und Ideen ihrem Chef mitzuteilen.

Führungskräfte wollen, dass man sie informiert, dass sie über Vorkommnisse Bescheid wissen. Ein Mitarbeiter der Probleme meldet, einen Vorschlag einbringt tut genau das, was der Chef will – er informiert. Denn der Chef hat die Verantwortung für alles, Prozesse, Produkte, Kosten etc. Er ist der Kapitän. Das Managen von Ideen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist seine originäre Führungsaufgabe.

Eine Idee oder Problemmeldung ‚liegen zu lassen‘ mit der Aussage: „was soll ich denn noch alles machen“ zeigt, dass dieser Vorgesetzte nicht verstanden hat, was seine Aufgabe und Verantwortung ist. Es bedeutet sogar ein wirtschaftlich schädliches Verhalten gegenüber dem Unternehmen. Ohne das Erfahrungswissen der Mitarbeitenden vor Ort – wie können von dem Verantwortlichen (dem Kapitän) die richtigen Entscheidungen getroffen werden?

Möchten Sie in einem Flugzeug sitzen, wo der Kapitän auf den Einwand seines Copiloten, dass die Türe klemmt so antwortet: …“ich habe jetzt keine Zeit dafür, ich muss starten“ …?

Fehler sitzt immer vor dem Gerät

Wie viele Datenfriedhöfe statt Datennutzung gibt es? Die heutigen Software-Lösungen für das Ideenmanagement bieten eine gute Plattform für den Austausch und die Vernetzung von Ideen aller Art. Denn darum geht es, das vorhandene Wissen im Unternehmen zu bündeln, kanalisieren, auswerten, für den Fortschritt nutzen.

Ideen allein sind nichts wert, solange sie nicht so weit bearbeitet sind, dass sie umgesetzt werden können. Ideen brauchen nicht nur Flügel, sondern auch ein Fahrgestell und Landeklappen. Also die verantwortlichen Führungskräfte, Gutachter/Experten die die Ideen umsetzen. Eine Datenbank für das Ideenmanagement ist aber nur so gut, wie sie „gefüttert“ wird.

Sicher haben Sie den Spruch mancher IT-Verantwortlichen auch gehört: „Fehler sitzt immer vor dem Gerät.“ Dies ist flapsig ausgedrückt, aber zeigt im Ideenmanagement deutlich unser Problem. Die beste Software kann nicht ihre volle Leistung zeigen, wenn…

Die Luftfahrt hat dies so gelöst: Seit 1982 werden systematisch Daten verpflichtend erhoben und ausgewertet. Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) sorgt für die Sicherheit eines Fluges lange bevor dieser beginnt. Wie nicht nur Unfälle, sondern Ereignisse „aller Art“ systematisch zusammengetragen und ausgewertet werden, ist vorgeschrieben! Das Verfahren gemäß Verordnung (EU) Nr. 376/2014 gibt genau vor: Wer meldet was wie an wen! Wie werden Analyse, Gegen- und Präventivmaßnahmen vorgenommen!

Für eine Verbesserung von Systemen, Prozessen und Verhaltensweisen ist es entscheidend herauszufinden, womit verhindert werden könnte, dass aus Störungen Unfälle werden. Eine vergleichbare, recherchierbare Datenbank existiert ebenfalls in den USA und wird von der amerikanischen Luftfahrtbehörde überwacht.

Das CRM in der Luftfahrt kann auch hier dem Ideenmanagement durchaus als Vorbild dienen.

Ideenmanagement selbstverständlich ! ?

Doch es gibt sie, die Unternehmen die von der Weiterentwicklung ihres alten Betrieblichen Vorschlagswesens zu einem ‚modernen Ideenmanagement“ berichten. Betrachten wir deren Ideen-Prozess genauer, wurden in vielen Fällen nur die Prozesse BVW (Betriebliches Vorschlagswesen) und KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) zusammengelegt. Die damit verbundenen ‚neuen‘ Betriebsvereinbarungen basieren aber weitgehend auf der alten, auf dem Betrieblichen Vorschlagswesen aufbauenden Betriebsvereinbarung. Die Quoten gehen nach oben. Klar – man zählt ja jetzt auch anders! Die Benchmark Auswertungen wiederum zeigen auf, dass selbst dieser ‚kleine Zusammenschluss zweier Prozesse‘ in vielen Unternehmen nicht flächendeckend und längst nicht von allen (Mitarbeitern und Führungskräften) getragen und gelebt wird. Da hilft auch alles schönreden nichts. Es verwundert nicht, dass ein ‚großer ganzheitlicher Ideenprozess‘, der das ‚Managen von Ideen aller Art’ einschließt (wie Spahl ihn 1975 einforderte) - akzeptiert als selbstverständlicher Teil der Zusammenarbeit – nicht funktioniert.

Warum – so die Frage - warum gelang es der Luftfahrt einen so umfassenden Crew Ressource Management-Prozess einzuführen und den Wirtschafts-Unternehmen, so wie es aussieht, nicht?

Erst ein Gesetz verhilft zum Durchbruch

In der Luftfahrt können Fehler Leben kosten. Im Unternehmen meist nicht. Deshalb besteht auch keine Dringlichkeit die entscheidenden Schritte vorzunehmen, wie bei der CRM Einführung.

Die Auswirkungen von Fehlern in ihrer Menge sind jedoch durchaus „gefährlich“. Nacharbeiten, Ausschuss, unnötige Kundeneinsätze, Rückrufe, Gewährleistungen summieren sich am Jahresende. Und einige innovative Ideen, die nicht umgesetzt wurden, könnten sich hinterher als überlebenswichtig herausstellen, und führten deshalb zu einem „Absturz“.

Durch die CRM-Trainings, die auch das ‚menschliche Versagen‘ verringern, konnten die Herausforderungen der sicheren Flugdurchführung und die ansteigenden Fluggastzahlen bewältigt werden. Die CRM-Trainings wurden zur gesetzlichen Vorgabe und müssen regelmäßig durchgeführt werden.

Das Ideenmanagement ist ebenso eine gesetzliche Pflicht wie das CRM. Es ist keine Kür, die nach Gutdünken der Führungskräfte durchgeführt, geduldet, oder abgelehnt wird. Es ist eine haftungsrelevante persönliche Grundpflicht aller Manager: die sogenannte Innenhaftung. Es empfiehlt sich, diese einmal zu lesen.

Wissen das Sie vorwärts bringt – geht doch!

Allerdings ist der „vor Ort Ideenprozess“ in manchen Unternehmen durchaus schon vergleichbar mit den CRM Trainings. Reden miteinander! Solche Gespräche sind Arbeit! In solchen Gesprächen entdecken die Mitarbeitenden oft zum ersten Mal, wieviel Fachwissen sie haben.

Probleme, Hinweise, Störungen, neue Ideen und Gedanken – tauschen Kollegen, Vorgesetzte und Experten untereinander aus. Lösungsmaßnahmen werden oft innerhalb einer Stunde im moderierten Team gemeinsam erarbeitet, schnell und effizient und dann erst „registriert“.

Der Mitarbeitende und die zuständige Führungskraft sind jederzeit informiert und eingebunden. Insbesondere bei bereichsübergreifenden Problem- und Fehlermeldungen greift man zur schnellen Lösungsfindung auf die Dienstleistung von dafür speziell ausgebildeten Mitarbeitern, den sogenannten Ideenlotsen/Moderatoren/Paten/Scouts zurück, die die Führungskräfte und Experten unterstützen. Durch Anwendung einer geeigneten Moderation werden Brücken gebaut zwischen Problem, Idee, Lösung und Umsetzung. Dieser ‚Ideenprozess‘ ist einfach und pragmatisch in den Arbeitsalltag eingebunden. So gibt man den Verantwortlichen die richtige Hilfestellung, die Fülle an Informationen schnell und wirksam zu verarbeiten. Das Ideenmanagement gehört hier ganz „selbstverständlich“ zum Arbeitsalltag. Die Einstellung in den Köpfen der Führungskräfte, aber auch der Mitarbeitenden, dass Fehler und Probleme Schwächen sind und deshalb negativ angesehen werden, ist überwunden.

Der Nutzen

In den Bereichen Technik, Forschung, Marketing ist man bereit, viel Geld zu investieren. Ideenmanagement ist die Investition in eine der am wenigsten genutzten Ressourcen ... das Erfahrungswissen, die Ideen und Vorschläge der Mitarbeitenden. Bezogen auf die Luftfahrt wäre der Prozess Ideenmanagement gleichzusetzen im Sinne des Crew Ressource Management das alle Beteiligten einbezieht: Bodenpersonal, Crew, Technik.

Die Kosten für ein CRM? Alle Fluggäste die bei Ihrem Flug gut gestartet sind, einen angenehmen Flug hatten und auch sicher wieder gelandet sind, werden das beantworten können.

Die Kosten für ein Ideenmanagement (incl. Ausbildung und Methodeneinsatz) sind bekannt: Sie liegen laut Deutschem Institut für Ideen- und Innovationsmanagement GmbH, Zentrum Ideenmanagement in Frankfurt, in einem Verhältnis von 1: 9 – eine hervorragende Rendite.

Richtungsweisende Visionen

Die Luftfahrt gilt in Sachen Fehlermanagement als Vorreiter. In einem Crew Ressource Management lernen die Teilnehmer immer wieder, völlig ohne Schuldzuweisung über Probleme zu sprechen, immer fakten-orientiert. Zum Beispiel über die Zusammenarbeit Cockpit-/Kabinen-/Bodencrew, Kommunikation, Zeitmanagement, praktische Durchführung, gegenseitige Unterstützung und und und.

Wäre eine Vorgehensweise wie das Crew Ressource Management aus der Luftfahrt nicht auch eine Chance für die Unternehmen, eine derartige Fehlerkultur zu entwickeln und damit einem ‚selbstverständlichen Ideenmanagement‘ eine stabile Basis zu bieten?


Autor Monika E. Krauskopf:

Seit dem Jahr 2000 ist Sie selbstständige Expertin für ganzheitliches Ideenmanagement und in diesem Bereich als Beraterin, Trainerin, Dozentin und Autorin tätig. Ihr Schwerpunkt ist dabei die Prozessoptimierung durch Einbeziehung der Mitarbeiter.



Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem gleichnamigen Artikel der im Buch „Zukunftsorientiertes Ideenmanagement“, erschienen ist. 

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